
Geldpolitik: Neutraler Zinssatz als Ziel: US-Leitzins nicht mehr unter 3 %?
Die aktuelle Zinssenkung beschränkt sich auf 25 Basispunkte, die Zinssenkung im Dezember ist höchst unsicher. Powells Hinweis auf das neutrale Zinsniveau lässt den Schluss zu, dass der US-Leitzins nur noch in Krisenzeiten unter 3 % fallen könnte.
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Die US-Notenbank Federal Reserve hat wie an den Märkten erwartet eine Zinssenkung um 25 Basispunkte auf einen Zielkorridor von 3,75 % bis 4,00 % vorgenommen. Zudem wurde die quantitative Straffung (QT) mit Wirkung zum 1. Dezember beendet. Ab diesem Datum wird die Fed alle Tilgungszahlungen aus ihren Beständen an Schatzanweisungen und Agency-Wertpapieren vollständig reinvestieren. Die entscheidende Frage: Wie geht es nun weiter mit der Geldpolitik?
Die Pressemitteilung der Fed gibt nur wenig Aufschluss. Ihr lässt sich entnehmen, dass die Entscheidung für die Zinssenkung nicht einstimmig fiel: Das neue FOMC-Mitglied Stephen Miran hätte eine Senkung um 50 Basispunkte bevorzugt, und der Präsident der Federal Reserve Bank von Kansas City, Jeffrey Schmid, stimmte für eine Beibehaltung des Zinssatzes.
Fed weiter im Zielkonflikt zwischen Preisen und Arbeitslosigkeit
Den weiteren Formulierungen lässt sich lediglich entnehmen, dass die Fed sich weiterhin im Zielkonflikt zwischen einem abkühlenden Arbeitsmarkt und erhöhter Inflation sieht. Der Beschäftigungszuwachs habe sich in diesem Jahr verlangsamt, die Arbeitslosenquote sei leicht gestiegen. Die Inflation habe seit Jahresbeginn ebenfalls zugelegt und bleibe weiterhin erhöht.
Dies wiederholte Powell auch auf der Pressekonferenz. So hätten in den letzten Monaten die Abwärtsrisiken für den Arbeitsmarkt zugenommen, weshalb eine Senkung des Leitzinses "in Richtung einer neutraleren Geldpolitik" gerechtfertigt sei. Ganz anders klang der Fed-Chef im Hinblick auf die nächste FOMC-Sitzung im Dezember: "Eine weitere Senkung des Leitzinses bei der Sitzung im Dezember ist keineswegs eine ausgemachte Sache - ganz im Gegenteil. Die Politik folgt keinem vorgegebenen Kurs."
Neben dem Zusatz "ganz im Gegenteil" ist vor allem der Hinweis auf eine "neutrale Geldpolitik" relevant. In der Fragerunde im Anschluss an die Pressekonferenz wies Powell darauf hin, dass die Politik nach Zinssenkungen um 150 Basispunkte nahe an den Schätzungen vieler FOMC-Mitglieder für einen neutralen Leitzins liege.
Der neutrale Zinssatz ist bald erreicht
Der neutrale Zinssatz ist ein theoretisches, akademisches Konstrukt. Er beschreibt ein nicht exakt bekanntes Zinsniveau,das Wirtschaftswachstum weder fördert noch hemmt. Liegt der tatsächliche Zinssatz über diesem Niveau, ist die Geldpolitik restriktiv. Liegt der Leitzins unter dem neutralen Zins, wirkt die Geldpolitik stimulierend - auf die Konjunktur, aber auch auf die Inflation.
Auch wenn sich der neutrale Zins nicht messen lässt, gibt es einen konkreten Anhaltspunkt: Die Schätzung der Fed-Vertreter für die langfristigen Zinssätze der Geldpolitik. Diese Schätzung lag im September bei durchschnittlich 3,0 %, die Spanne lag bei etwa 3-4 %.
Dies liegt nicht weit entfernt von der Schätzung des neutralen Zinssatzes nach dem 2023 aktualisierten Holston-Laubach-Williams-Modell, das Daten zum BIP, zur Inflation und zum Zielzinssatz der US-Notenbank und den neutralen Zins bei einem Inflationsziel von 2,0 % auf 2,84 % schätzt.
Fed-Chef Jerome Powell bezeichnete die aktuelle Haltung der Zentralbank kürzlich als "mäßig restriktiv", wonach das Zinsniveau nach der jüngsten Zinssenkung nur noch moderat über dem neutralen Zins liegen dürfte. Dies deutet darauf hin, dass Powell nur wenig Luft nach unten sieht, wenn das neutrale Zinsniveau nicht unterschritten werden soll: Wahrscheinlich deutlich weniger als 100 Basispunkte.
Jahre nach dem Beginn des Zinserhöhungszyklus zeichnet sich damit langsam ab, was die vielzitierte neue Zinswelt bedeuten könnte: Dass ein Leitzins unter 3 % in den USA vorerst für Krisenzeiten reserviert ist.