
Chancen und Risiken: Anleger sollten die steiler werdende Zinskurve nicht ignorieren
Die Zinskurven der Industrieländer werden steiler - ein Trend, der noch länger anhalten könnte. Was bedeutet diese Entwicklung für Anleger?
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Trotz einer leichten Entspannung an den Bondmärkten in den vergangenen Tagen verläuft die US-Zinsstrukturkurve deutlich steiler als noch vor einem Jahr. Vor allem im Laufzeitbereich ab etwa zwei Jahren, der durch die Zinspolitik der Notenbank anders als kürzere Laufzeiten wenig beeinflusst wird, setzte ein deutlicher Anstieg der Zinsen hin zum längeren Ende ein.
Die Ursachen liegen auf der Hand: Am kurzen Ende sorgen die Zinssenkungen der Zentralbank für rückläufige Zinsen, am langen Ende treiben Sorgen um die langfristige Schuldentragfähigkeit der USA die Renditen.
Zinsstrukturkurven werden steiler: Ein langfristiger Trend
Dieses Bild lässt sich auch auf andere Industrienationen übertragen. Über die Rendite der 30-jährigen deutschen Bundesanleihe, die kürzlich den höchsten Stand seit 2011 erreichte, notierten die ING Analysten Padhraic Garvey und Benjamin Schröder in einer Notiz Mitte August, es gebe genügend Argumente, dass dies "noch nicht das Ende" sei.
"Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die deutsche Finanzpolitik sowie die laufende Umstellung der niederländischen Pensionsfonds auf das neue beitragsorientierte System weiterhin Druck auf die (ultra-)langfristigen Zinsen ausüben werden", hieß es im damaligen Bericht.
Anleger sollten die Entwicklung hin zu einer steileren Zinskurve nicht ignorieren. Der Trend in diese Richtung begann vor der ersten Zinserhöhung der Fed in diesem Jahr und dürfte sich mit weiteren Zinssenkungen fortsetzen. Die Renditespanne zwischen zehn- und zweijährigen US-Staatsanleihen lag am vergangenen Freitag bei 0,50 Prozentpunkten, verglichen mit 0,37 Prozentpunkten vor sechs Monaten.
Nach der Pandemie lagen die Renditen kurzfristiger Anleihen sogar über denen langfristiger Schuldverschreibungen. Eine sogenannte inverse Zinskurve war zwei Jahre lang - beginnend im Herbst 2022 - zu beobachten.
Am langen Ende warten höhere Renditen - und höhere Volatilität
Morningstar Analystin Sarah Hansen sieht für Anleger Chancen und Risiken. So bietet die steilere Kurve die Möglichkeit, am langen Ende höhere Renditen zu erzielen. Die Kehrseite: längerfristige Anleihen könnten einer höheren Volatilität unterliegen. Zudem weist Hansen auf die Risiken kürzerer Laufzeiten hin: Diese unterliegen einem Wiederanlagerisiko, da bei sinkenden Renditen am kurzen Ende der Cashflow aus solchen Anlagen nicht zum ursprünglichen Zinssatz reinvestiert werden kann.
Dominic Pappalardo, Chef-Multi-Asset-Stratege bei Morningstar Wealth, weist darauf hin, dass Renditen am langen Laufzeitende künftig stärker den Marktkräften ausgesetzt sein könnten. Unsicherheiten bei Fiskalpolitik, Inflation, Wirtschaftswachstum, Schuldentragfähigkeit und Geopolitik könnten die Volatilität erhöhen. "Die gängige Weisheit der Geschichte ist, dass die Fed die Zinskurve für zwei Jahre und länger kontrolliert und der Markt sie für zehn Jahre und länger kontrolliert", erklärt Pappalardo.
Er erwartet wie nahezu alle Marktteilnehmer einen weiteren Rückgang der kurzfristigen Renditen und sieht die längerfristigen Renditen stagnieren oder weiter steigen. Dass die Renditen am langen Ende deutlich zurückgehen, ist kaum zu erwarten. Kathy Jones, Chefstrategin für festverzinsliche Wertpapiere bei Schwab, verweist in diesem Zusammenhang auf die Inflation. Diese liegt aktuell bei knapp 3 % und lasse schon deshalb wenig Spielraum nach unten zu. "Die Lockerung der Fed-Geldpolitik bei zu hoher - und möglicherweise steigender - Inflation verstärkt die Erwartung einer möglichen Verschärfung der Inflation. Das hält die Renditen hoch."
Lohnt sich eine Verschiebung in den Laufzeitbereich von 5-7 Jahren
Wie können Anleger auf den Trend zu steileren Zinskurven reagieren? Jones von Schwab warnt vor dem Wiederanlagerisiko bei sinkenden Zinsen am kurzen Ende. Um dieses Risiko abzumildern, können Anleger eine längere Duration ihres Portfolios in Betracht ziehen. Dies sei jedoch mit Risiken verbunden, sofern zwischenzeitlich Liquidität benötigt werde. Im aktuellen Umfeld sei es weder sinnvoll, ausschließlich auf kurzfristige Anlagen noch ausschließlich auf sehr langfristige Anlagen zu setzen. Dies sehen auch andere Zinsexperten so: Viele Vermögensverwalter positionieren sich derzeit im Laufzeitbereich von 5-7 Jahren, wo die Renditen höher sind als am kurzen Ende, das Kursrisiko zugleich jedoch begrenzt ist.
Wer in Anleihe ETFs investiert, sollte einen Blick auf die verfolgte Strategie werfen. Pappalardo zufolge könnten Fondsmanager etwa zusätzliche Zinsrisiken eingehen, indem die Duration am längeren Ende erhöht wird und gleichzeitig größere Bestände am kürzeren Ende aufgebaut werden. Bei fallenden Renditen winken dann Kursgewinne - im umgekehrten Fall jedoch auch Kursverluste.