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BewertungslückeMacht neue Corporate Governance Japans unterbewerteten Aktienmarkt zum Geheimtipp?

Der japanische Aktienmarkt ist gut gelaufen, könnte aber noch einen langen Aufwärtstrend vor sich haben: Verkrustete Strukturen in Unternehmen brechen auf und die jüngere Generation setzt sehr viel stärker auf Aktien.

von Verumo-Redaktion

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Titelbild: picture alliance / AP / Hiroto Sekiguchi / Yomiuri Shimbun

Der japanische Aktienmarkt hat - gemessen am Leitindex Nikkei-225 - seit Jahresbeginn um 27,5 % zugelegt. Auch die Performance der vergangenen Jahre war gut: Auf 5-Jahres-Sicht hat sich der Index verdoppelt. Und dennoch spricht vieles dafür, dass der japanische Aktienmarkt günstig sein könnte. Dies gilt ganz besonders für japanische Aktien aus der zweiten Reihe.

40 % der japanischen Aktien notieren unter Buchwert

Fast 40 % der 2.000 japanischen Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung weisen laut einer aktuellen Analyse von McKinsey ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von unter eins auf, verglichen mit nur 10 % der US-amerikanischen Unternehmen dieser Größenordnung.

Die Lücke ist nur zum Teil auf die technologie- und softwarelastige Zusammensetzung der US-Indizes zurückzuführen. Ein wesentlicher Teil erklärt sich aus schwächeren Finanzkennzahlen in Japan im Vergleich zu den USA.

Im Durchschnitt erzielen japanische Unternehmen eine Kapitalrendite von etwa 8 %, verglichen mit 21 % bei US-Unternehmen und 15 % bei europäischen Unternehmen. Auch ihre EBITA-Margen liegen mit rund 8 % hinter den Durchschnittswerten von 15 % in den USA und 13 % in Europa zurück.

"Dieser Rückstand spiegelt strukturelle und kulturelle Altlasten wider, darunter eine konservative Kapitalallokation, fest verankerte Kreuzbeteiligungen, ineffiziente Fertigungsprozesse, starre Arbeitspraktiken und eine Unternehmensführung, die Stabilität vor Rendite stellt", heißt es im Bericht von McKinsey.

Alte Strukturen brechen langsam auf

Doch nach Jahrzehnten des Reformstaus seien die Rahmenbedingungen für Reformen im Land nun günstiger. "Die Aufsichtsbehörden haben neue Governance-Standards eingeführt, und Investoren üben Druck auf Unternehmen aus, ihre Renditen zu verbessern, Kreuzbeteiligungen zu reduzieren und überschüssige Barmittel zu investieren", notieren die McKinsey-Analysten Daisuke Nozaki, Tim Koller und John Kochi.

Gleichzeitig begännen sich kulturelle Normen zu verschieben, was Unternehmen dazu veranlasse, mit Anpassungen der Vergütungspraktiken zu experimentieren, Vorständen mehr Unabhängigkeit zu gewähren und freiwillige Pensionierungen anzubieten. "Zusammen schaffen diese Kräfte eine Öffnung, um die strukturellen und kulturellen Hintergründe der chronischen Unterbewertung Japans anzugehen."

Ein Manko für den Aktienmarkt sei die historisch bedingt sehr konservative Finanzpolitik. Laut McKinsey verfügen japanische Nicht-Finanzunternehmen derzeit über mehr als 1 Billion USD an Barmitteln: Die höchste Quote von Barmitteln im Verhältnis zur Marktkapitalisierung unter den entwickelten Märkten. "Viele Unternehmen halten nach wie vor 15 bis 25 % ihrer Vermögenswerte in Cash." Der zunehmende Druck durch aktivistische Investoren in den letzten drei bis fünf Jahren habe jedoch begonnen, dieses Muster zu verändern.

Japans Aktienmarkt ist trotz Rallye günstig bewertet

Der Nikkei-225 ist gemessen an einschlägigen Finanzkennzahlen deutlich niedriger bewertet als der S&P 500. Letzterer weist laut Bloomberg-Daten ein aktuelles KGV von 28,1, ein KBV von 5,58 und eine Price To Sales Ratio von 3,4 auf. Im Nikkei liegt das KGV bei 22,75, das KBV bei 2,66 und die Price To Sales Ratio bei 1,96.

Auch der breite Aktienmarkt weist niedrige Bewertungen auf. Der MSC World Japan MidCap Index etwa wird mit einem zukunftsgerichteten KGV von 15,65 und mit einem KBV von 1,49 gehandelt. Beim MSCI World Mid Cap Index liegt das Forward P/E bei 17,23 und der KBV bei 2,46.

Eine wichtige Frage betrifft die Politik der seit wenigen Wochen amtierenden Premierministerin Sanae Takaichi, die Margaret Thatcher und Shinzo Abe als ihre politischen Vorbilder nennt. Die Märkte erwarten überwiegend eine Fortsetzung von "Abenomics" - also eine lockere Geld- und Fiskalpolitik.

Diese Politik dürfte einen ohnehin seit Jahren bestehenden Trend verstärken: Japans Anleger setzen zunehmend auf den Aktienmarkt. Die Investmentgesellschaft Columbia Threadneedle konstatierte in einem Beitrag Anfang des Jahres eine Verschiebung weg von Cash hin zu Aktien. Dazu trage neben der Einführung des steuerbegünstigten Anlagesparkontos NISA (Nippon Individual Savings Account) im Jahr 2024 auch ein Mentalitätswandel gerade unter jüngeren Anlegern bei.

"Der Wandel Japans hat gerade erst begonnen"

"Der gleiche Trend war vor über 40 Jahren in den USA zu beobachten, als dort ähnliche, auf steuerliche Anreize setzende Programme wie der Altersvorsorgeplan IRA (Individual Retirement Account) und 401k eingeführt wurden. Wir sind überzeugt, dass der Trend "Investieren statt sparen" auf längere Sicht ein sehr wichtiges Thema für Japan sein wird", hieß es im damaligen Bericht. Das Bedürfnis nach einer höheren Aktienquote dürfte durch die hohe japanische Staatsverschuldung zusätzlich angetrieben werden.

Die Columbia Threadneedle Analysten stuften die Perspektiven des japanischen Aktienmarktes aufgrund der soliden Unternehmensgewinne, der Neuausrichtung der Corporate Governance, anhaltender Inflation, steigender Löhne und verstärkter Aktivität im M&A-Bereich als positiv ein. "Wir glauben, dass der lang erwartete Wandel Japans gerade erst begonnen hat."