
Sorge vor Blasenbildung: Ausblick Aktienmarkt: KI-Boom und Konjunkturschwäche werfen Fragen auf
Die Leitindizes erklimmen neue Höhen, doch die Sorgen vor einer Überhitzung wachsen angesichts des fortgeschrittenen KI-Booms und der konjunkturellen Anzeichen von Schwäche. Droht dem Aktienmarkt eine Korrektur oder sogar mehr?
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Die Bewertungen an den Aktienmärkten sind bekanntlich hoch, in dieser Woche erreichte der S&P 500 die 33. Bestmarke des Jahres. Skeptiker warnen: Der Markt könnte überhitzt und eine Korrektur überfällig sein. Stimmt das?
Einerseits gibt es Nachrichten, die für eine Fortsetzung der freundlichen Stimmung an den Märkten sprechen.
Berichtssaison im S&P 500 startet positiv
FactSet etwa liefert aktuell zwei positive Meldungen zu laufenden Berichtssaison im S&P 500. So markiert dieses Quartal die niedrigste Anzahl von S&P 500-Unternehmen, die eine negative EPS-Prognose für ein Quartal abgeben, seit dem vierten Quartal 2021. Demnach liegt die Zahl der Unternehmen, die eine negative EPS-Prognose abgeben unter dem 5-Jahres-Durchschnitt von 58 und unter dem 10-Jahres-Durchschnitt von 60. Gleichzeitig liegt die Zahl der Unternehmen, die für das dritte Quartal eine positive EPS-Prognose abgeben, deutlich über dem 5-Jahres-Durchschnitt von 43 und über dem 10-Jahres-Durchschnitt von 39.
Die zweite Meldung betrifft die Zuflüsse in ETFs. Das verwaltete ETF-Vermögen in den USA stieg im September auf 12,7 Billionen USD (nach 12,3 Billionen USD im Vormonat). Der September verzeichnete Zuflüsse in Höhe von 141,2 Mrd. USD und damit den höchsten Wert des Jahres und ein Plus von 19,8 % gegenüber 117,8 Mrd. USD im Vormonat, womit sich die Gesamtsumme seit Jahresbeginn auf 925,4 Mrd. USD erhöhte. Im September wurden 115 neue ETFs aufgelegt.
Andererseits: Könnte die gute Stimmung trügen? Steht die Wirtschaft möglicherweise vor einer deutlichen Abkühlung oder gar Rezession, der KI-Boom vor dem Ende und der Aktienmarkt vor einem deutlichen Rückgang? Die Stimmen, die es so sehen, mehren sich.
NIPA-Unternehmensgewinne im ersten Halbjahr schwach
Analysten von Ned Davis Research weisen auf die Unternehmensgewinne in den USA hin -nicht nur die Gewinne großer Konzerne, sondern die aller Betriebe gemäß der National Income and Product Accounts (NIPA). Diese Gewinne entwickelten sich in den ersten beiden Quartalen rückläufig.
"Angesichts der Tatsache, dass die Unternehmensgewinne [laut NIPA] in der Regel den Gewinnen des S&P 500 um ein oder zwei Quartale voraus sind, deutet dies darauf hin, dass die Gewinnschätzungen für den S&P wahrscheinlich zu optimistisch sind, was ein Abwärtsrisiko sowohl für das Gewinnwachstum als auch für die Aktienkurse in den nächsten Quartalen bedeutet", heißt es in der Notiz der Analysten.
Morningstar Analyst David Sekera etwa warnt vor der hohen Bewertung: "Der US-Aktienmarkt weist einen Aufschlag von 3 % auf; seit 2010 wurde er nur in 15 % der Fälle auf diesem hohen Niveau gehandelt."
Michael Kramer, Gründer des Vermögensverwalters Mott Capital, sieht ebenfalls ein akutes Risiko für einen deutlichen Kursrückgang. "Die implizite Volatilität für die Bestandteile des S&P 500 steigt stark an, während die Gesamtvolatilität niedrig bleibt, sodass die Bedingungen für einen potenziellen Rückschlag günstig sind."
Hohe Dispersion im S&P 500
Kramer weist auf den hohen Dispersion Index für den S&P 500 hin: In der Vergangenheit kam es unter diesen Bedingungen mehrfach zu deutlichen Kursrückgängen. Der Index der impliziten Volatilität der S&P 500-Bestandteile sei seit dem 12. September von 31 auf 38,2 gestiegen, während der S&P 500 Volatilitätsindex VIX von 14,8 auf 16,6 angestiegen sei. Die Marktteilnehmer "beginnen, sich gegen das Abwärtsrisiko abzusichern, indem sie die niedrige implizite Volatilität des Index zu diesem Zweck nutzen", so Kramer.
Sekera warnt, dass Enttäuschungen im Zusammenhang mit der KI-Entwicklung zu Rückschlägen führen könnten. "Viele KI-Mega-Cap-Aktien werden bereits nahe oder über unseren Fair-Value-Schätzungen gehandelt und bieten daher keinen Puffer, sollte sich das KI-Wachstum verlangsamen." Der Markt bewege sich "auf einem schmalen Grat."
David Solomon von Goldman Sachs warnt, dass die enormen Investitionen in KI "am Ende keine Rendite bringen werden" - und sieht ebenfalls Abwärtsrisiken. Carsten Roemheld sieht die zunehmende Verflechtung der großen Technologiekonzerne kritisch. "Wenn NVIDIA 100 Mrd. USD in OpenAI investiert, treibt das eine Blasenbildung voran." Die Renditeerwartungen seien unrealistisch hoch.
"Die vergangenen Jahre wurde der Markt fast ausschließlich von einem KI-Sonderzyklus getrieben, die Konzentration der größten Werte ist sehr hoch", so Roemheld. Vor dieser Konzentration warnt auch Sekera, da "fast 40 % der Marktkapitalisierung auf nur 10 Mega-Caps konzentriert" seien.
Ohne Rechenzentren-Investitionen wäre US-Wirtschaft nur um 0,10 % gewachsen
Julien Garran von MacroStrategy Partnership ist ebenfalls skeptisch im Hinblick auf die Bewertung von KI-Unternehmen. So sei die KI-Einführungsrate bei großen Unternehmen derzeit rückläufig. In Bezug auf LLMs sagt Garran: "Es gibt keinen Schutzwall um ein Modell, sodass die Preissetzungsmacht gering ist. Und diejenigen, die LLMs am häufigsten nutzen, verwenden sie, um auf Rechenleistung zuzugreifen, deren Bereitstellung den Entwickler mehr kostet als ihre monatlichen Abonnements."
Ohne KI-Boom befände sich nicht nur der Aktienmarkt, sondern auch die Realwirtschaft in einer deutlich schlechteren Situation. Der Harvard-Ökonom Jason Furman hat berechnet, dass die US-Wirtschaft ohne die Investitionen in Rechenzentren im ersten Halbjahr um lediglich 0,10 % gewachsen wäre.